Warum die Gestaltung und Nutzung gemeinschaftlicher Räume entscheidend für lebendige Nachbarschaften ist.

Ein belebter Gemeinschaftsraum nützt dem sozialen Gefüge und dem Zusammenhalt in einem Wohnbau
Im geförderten Wiener Wohnbau werden Gemeinschaftsräume von Anfang an mitgedacht. Ob als multifunktionaler Raum im Erdgeschoss, Dachterrassen, Gemeinschaftsküchen oder urban gardening-Flächen: Sie sollen Begegnung ermöglichen, Nachbarschaften fördern und ein Gefühl von Zusammengehörigkeit schaffen. Doch während manche Gemeinschaftsräume und -flächen mit Leben erfüllt werden, verwaisen andere nach wenigen Monaten. Woran liegt das? Wie können diese Räume lebendig werden? Welche Konzepte braucht es dafür?
Diesen Fragen ging das Modul 107 der Freitag-Akademie für Führungskräfte der gemeinnützigen Bauträger mit dem Titel „Gemeinschaftsräume: Belebt oder verwaist?“ nach. Der Vortrag von Petra Hendrich von realitylab bietet nicht nur Einblicke in die Potenziale solcher Räume, sondern auch konkrete Hinweise, wie diese erfolgreich geplant, verwaltet und genutzt werden können.
Funktionen hinterfragen
Als erstes gilt es zu hinterfragen, ob ein Raum tatsächlich ein Raum der Gemeinschaft sein soll oder viel mehr wohnungserweiternde Funktionen hat, wie ein Ort für die private Feier, als Home-Office und Lernraum oder als Gästezimmer. Das hängt auch mit den Möglichkeiten der Hausverwaltung zusammen, diese Funktionen in ihrer Arbeit zu unterstützen und zu regeln.
Gemeinschaftsraum als Einladung zur Teilhabe
Soll ein Raum tatsächlich zum Gemeinschaftsraum werden, dann ist er mehr als nur ein physischer Ort. Er ist eine Einladung zur Teilhabe, ein Möglichkeitsraum für Talente, Austausch und Zusammenarbeit. Damit wird er zu einem Ort, der entweder das soziale Gefüge stärkt oder – bei schlechter Umsetzung – zur Konfliktzone oder zum Geisterort verkommt.
- Gemeinschaftliche Nutzung: Räume, die für viele da sind, müssen auch von vielen verstanden, akzeptiert und genutzt werden. Dies setzt niederschwellige Zugänge und transparente Nutzungsregeln voraus. Im besten Fall werden die Regeln und Zugänge gemeinsam mit den Nutzer:innen und der Hausverwaltung entwickelt, erweitert und angepasst.
- Raum für Talente: Alle Bewohner:innen bringen Fähigkeiten und Interessen mit. Ein gut konzipierter Raum gibt diesen Talenten Ausdrucksmöglichkeiten, wie beispielsweise durch gemeinsame Kochabende, Tanzkurse, Kinderspielnachmittage oder Lesungen.
- Raum für Austausch: Orte der Begegnung sind essenziell, um informelle Netzwerke zu stärken und soziale Isolation zu verhindern. Insbesondere für Alleinerziehende und Pensionist:innen bieten Gemeinschaftsräume wichtige Orte des Austauschs und der Unterstützung.
Gelebte Nachbarschaft
Gemeinschaftsräume sind Teil eines sozialen Gefüges. Damit ein Raum zum Ort einer Gemeinschaft werden kann, muss auch die Gemeinschaft wachsen. Da im geförderten Wohnbau die Menschen mehr oder weniger zufällig nebeneinander wohnen und eine Nachbarschaft bilden, bietet es sich an, genau über die gemeinsamen Räume das soziale Netzwerk aufzubauen. Die Einbindung der Nachbarschaft in die Planung, die Organisation oder die Verwaltung unterstützt diese Prozesse. Mitgestaltung schafft Identifikation und reduziert Konfliktpotenzial.
Neben Räumen können auch Freiflächen wie Gemeinschaftshochbeete ein vielversprechender Möglichkeitsraum in Nachbarschaften darstellen. Gemeinschaftlich genutzte Gärten können als physische und symbolische Verankerung gemeinsamer Werte wirken – vom ökologischen Bewusstsein bis zur sozialen Inklusion. Gleichzeitig stellen sie hohe Anforderungen an Organisation, Engagement und Pflege. Jede:r trägt Verantwortung und lernt von- und miteinander.

Das gemeinsame Gartln bringt Menschen unterschiedlicher Alters- und Kulturgruppen zusammen.
„Gemeinschaffen“ – gemeinsam schaffen
Gemeinschaffen wie wir es bei realitylab verstehen meint, dass gemeinschaftliches Handeln Räume schafft. Wir orientieren uns dabei an der Commons-Theorie von Elionor Ostrom. Sie zeigt mit ihrer preisgekrönten Arbeit, dass zum nachhaltigen Funktionieren einer Ressource (z.B. Gemeinschaftsräume und -flächen) eine klare Gemeinschaft (z.B eine Hausgemeinschaft) nötig ist, die diese pflegt, nutzt und dafür bestimme, selbstgesetzten Regeln und Organisationsformen entwickelt.
Gerade beim Beispiel der Urban Gardening Flächen zeigt sich, dass diese besonders gut funktionieren. Bei diesen Flächen ist meist klar: Jene, die mitmachen, kümmern sich um die Flächen. Sie bestimmen, wie diese genutzt werden. Die von Gesetzes wegen immer für alle zugänglich zu haltenden Gemeinschaftsflächen sind öfter konfliktreich oder von rücksichtsloser im schlimmsten Fall zerstörerischer Nutzung betroffen. Es gibt keine oder kaum Möglichkeiten verbindliche Regeln und Sanktionen zu setzen und so den Kreis der Nutzer:innen auf jene einzuschränken, die sich dem Erhalt der Ressource Gemeinschaftsraum verpflichtet fühlen.
Damit wir dennoch gut funktionierende Räume schaffen können braucht es daher:
- Eine gute Planung, die lernt: Räume müssen flexibel sein und sich den Bedürfnissen anpassen können.
- Raum für Mitbestimmung: Bewohner:innen tragen mehr Verantwortung, wenn sie in die Organisation und Pflege von Gemeinschaftsräumen und -flächen eingebunden werden.
- Organisation und Verwaltung: Eine klare Struktur hilft bei der langfristigen Nutzung. Das Buchungssystem muss auf die Nutzungsmöglichkeiten angepasst sein (Nutzungsregeln und Zugänglichkeit). Klare Rollen helfen bei der Instandhaltung der Räume, z.B. durch transparente Kommunikation der Aufgaben der Hausverwaltung sowie Ansprechpersonen. Dabei soll die Hilfe zur Selbsthilfe gefördert werden. Einfach Zeichen, wie ein verfügbarer Besen, drücken aus: Alle tragen dazu bei, dass der Raum ordentlich bleibt.
- Gemeinschaftsbildung: Nur wo soziale Bindung entsteht, lebt auch der Raum. Das erfordert ein Kennenlernen der Räume und Bewohner:innen. Durch eine Begleitung der Nachbarschaft kann die Selbstorganisation von Anfang an aufgebaut und weiterentwickelt werden.
Analoge und digitale Räume ergänzen sich
Digitale Räume spielen zunehmend eine Rolle. Plattformen zur Raumreservierung, Foren für Nachbarschaftsprojekte, wie beunity, DigiGrätzl oder WhatsApp-Gruppen ergänzen die physischen Treffpunkte und ermöglichen niederschwellige Kommunikation und Organisation. Auch hier gilt – digitale Räume brauchen Nutzungsregeln, die von allen Beteiligten getragen und (weiter)entwickelt werden.
Fazit: „Es kann gelingen…“
Gemeinschaft ist machbar, wenn man sie gestaltet.
- Erfolgreiche Räume entstehen durch partizipative Planung
- Verwaltung und Organisation muss schon in der Planung mitgedacht werden
- Gemeinschaft muss wachsen – das braucht Zeit, Ressourcen und Moderation
- Digitale Werkzeuge können das Angebot sinnvoll ergänzen