Betriebsmodelle für geteilte Mobilität – Teil 3 der Blog-Reihe „MobiPool“

Wir haben wertvolle Erfahrungen und Wissen über das Teilen von Mobilitätsressourcen im Sonnwendviertel ausgetauscht und gemeinsam mit Expert:innen über Haftung und Versicherung, Zutritt und Softwarelösungen diskutiert sowie Inspirationen von erfolgreichen Projekten geteilt.

Wir haben einen Leitfaden mit Handlungsempfehlungen für MobilitätsSharing im Sonnwendviertel Ost erstellt, um zukünftige Mobilitätsgemeinschaften dabei zu unterstützen, sich zu organisieren und so eine nachhaltige Mobilität für Viele möglich zu machen. Wir wollen in dieser Blog-Reihe die Inhalte des Leitfadens vorstellen. In Teil 3 unserer MobiPool-Blogreihe geht es um konkrete Betriebsmodelle.

In Teil 2 sind wir auf Herausforderungen beim Teilen von Mobilität eingegangen: Wie wir nun sehen werden sind diese Herausforderungen und Fragen in den Projekten, die wir im Laufe unserer Tätigkeit im Sonnwendviertel beraten durften, recht unterschiedlich beantwortet worden. Wir möchten dennoch den Versuch unternehmen bestimmte Muster beim Teilen von Fahrzeugen herauszuschälen, indem wir eine Reihe von typischen Betriebsmodellen beschreiben und dafür – sofern vorhanden – Beispiele aus dem Sonnwendviertel heranziehen. In diesem Beitrag stellen wir dir folgende Betriebsmodelle vor:

Informelles Teilen

Das einfachste Modell beim Teilen von Mobilität sieht so aus wie es die Lenkerbande im SWVO mit ihrem Lastenrad praktiziert:  

„Ja das Rad ist grad frei; hier hast‘ den Schlüssel, bitte beachte folgendes bei der Benutzung …. Wir freuen uns über eine Spende!“

Im Verlauf des Projekts „Shared Mobility in (gemeinschaftlichen) Wohnprojekten“ haben Johanna Leutgöb und Constance Weiser die Beobachtung gemacht, dass diese informelle Form des Teilens von Fahrzeugen in gemeinschaftlichen Wohnprojekten sehr verbreitet ist. Erste Ergebnisse des Projektes wurden bereits beim MobiPool-Workshop vorgestellt. Hier ein paar allgemeine Merkmale von informellem Teilen

  • niederschwellig und einfach – ohne komplexe und kostspielige Infrastruktur,
  • auf Vertrauensbasis – auf persönliche Beziehungen und Nachbarschaft aufgebaut – also in einem überschaubaren Kreis,
  • Klare Bedingungen hinsichtlich Verrechnung und Nutzung,
  • die Fahrzeuge bleiben im persönlichen Besitz – d.h. der Besitzer ist weiterhin für das Fahrzeug, für seine Wartung und Pflege, für Reifenwechsel und technische Überprüfung usf. selbst verantwortlich. 

In ihren Interviews und Recherchen haben Johanna Leutgöb und Constance Weiser beobachtet, dass auch beim informellen Teilen private Nutzungsvereinbarungen abgeschlossen werden. Viele dieser Vereinbarungen erfolgen vermutlich aber nur auf mündlicher Basis. (Die Studie wird im Nov. 2022 bei klimaaktiv und als Download bei der Initiative Gemeinsam Bauen und Wohnen veröffentlicht werden)

Teilen von gemeinsamen Fahrzeugen im geschlossenen Nutzer:innenkreis

Diese Form des Teilens findet ebenfalls in vielen gemeinschaftlichen Wohnprojekten statt: Eine Gemeinschaft – oft ist es eine bestehende Hausgemeinschaft in Gestalt eines Bewohner:innenvereins – kauft ein Fahrzeug und teilt es unter seinen Mitgliedern. Das Beispiel das wir hier teilen möchten stammt zwar nicht aus dem Sonnwendviertel, es kann aber aufgrund seines langjährigen erfolgreichen Bestehens als Good-Practice dienen: Elfride.eu.

Elfride ist ein Verein (Elfride – Verein für nachhaltige Mobilität und Carsharing) mit rund 30 Mitgliedern, der seit 2013 besteht und 2 Fahrzeuge (Skoda Fabia) teilt. Wie managed der Verein seine Fahrzeuge?

Buchen / Reservieren: Gebucht wird über einen Online Kalender. „Es gelten fixe 4h Zeitfenster zur Nutzung (beginnend bei 0:00 / 4:00 / 8:00 / 12:00 / 16:00 / 20:00), die maximale Mietdauer ist 9 Tage (längere Nutzung nur auf Anfrage).“ 

Zugang / Öffnen / Schließen: Elfride steht in einer Tiefgarage. Auf der Dachreling des Autos ist ein Nummernsafe befestigt, in dem sich der Autoschlüssel befindet. Der Zugang zur Garage und das Öffnen des Safes erfolgt mittels eines Nummerncodes. 

Verrechnen / Logging Nutzungsbeitrag pro Stunde Mo-Do:  EUR 1,60.- (ohne Benzin); Nutzungsbeitrag pro Stunde Fr-So: EUR 1,85.- (ohne Benzin).

Pflegen / Warten: Nutzer:innen verpflichten sich, das Fahrzeug pfleglich zu behandeln und es sauber und vollgetankt zurückzubringen. Für die Pflege und Wartung ist der Verein zuständig. Die Kosten für Ölverbrauch, Wartung, Verschleißreparaturen und die Kfz-Haftpflicht-Versicherung sind im Basispreis enthalten.

Versichern / Haftungsfragen: Die Fahrzeuge gehören dem Verein, der Versicherungen geschlossen hat. Der Mietpreis beinhaltet auch eine Haftungsbeschränkung auf EUR 350,- für alle Kasko- Schäden und alle gefahrenen Kilometer.  

Anleitung: „Die Nutzung von Elfride ist in den Nutzungsbedingungen auf der Website sehr gut dokumentiert, da sollten eigentlich keine Fragen offen bleiben. Fahren musst du schon selbst. Der Besitz eines Führerscheins über mindestens 4 Jahre und ein Mindestalter von 22 Jahren wird vorausgesetzt.“ 

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© Elfride – Verein für nachhaltige Mobilität und Carsharing

Dieses Modell besticht durch seine Einfachheit und bietet vor allem für das Teilen von Autos ein Good-Practice Modell. Lernen lässt sich auch von Seestadt-Mobil, das ein wenig größer angelegt ist (hat bereits 100 Mitglieder). Auch die Konditionen bei Seestadt-Mobil sind sehr attraktiv.

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© seestadt MOBIL – Verein zur Förderung von Carsharing in der Seestadt

Teilen von gemeinsamen Fahrzeugen im (halb)offenen Nutzer:innenkreis

Der wesentliche Unterschied zwischen diesem und vorangegangenem Modell besteht darin, dass sich die Mobilitätsgemeinschaft entscheidet ihre Fahrzeuge nicht nur unter den Mitgliedern, sondern auch mit „Externen“ zu teilen. Im Sonnwendviertel Ost ist das bei einigen Projekten der Fall, die vom Mobilitätsfonds gefördert wurden. Projekte können nämlich eine höhere Förderquote erhalten, wenn sie ihre Fahrzeuge mit Nachbar:innen teilen. Hier sind es vor allem Räder, Lastenräder und Anhänger, die geteilt werden.  

Wir wollen dieses Modell anhand des Familienrad im Wohnprojekt „Wohnen im Grünen Markt“ beschreiben.

Buchen / Reservieren: Für eingeschulte Mitglieder von „Wohnen im Grünen Markt“ ist eine Ausleihe jederzeit möglich, wenn das Rad in einem Google-Kalender reservierbar ist. Für externe Personen kann über graetzelrad.wien von Montag bis Freitag gebucht werden. Eine Buchung ist erst bestätigt, wenn ein Mitglied des Grünen Markts die Übergabe durchführen kann. 

Zugang / Öffnen / Schließen: Eingeschulte Mitglieder von „Wohnen im Grünen Markt“ wissen wo die notwendigen Schlüssel und Utensilien liegen. Externe Personen können das Fahrrad nur durch eine persönliche Übergabe durch ein Mitglied übergeben. 

Verrechnen / Logging: Es werden für die Ausleihe keine Kosten verrechnet.  

Pflegen / Warten: Nutzer:innen verpflichten sich eventuelle Schäden bei der Übergabe zu melden, Mitglieder teilen es dem zuständigen Team mit. Kleine Wartungen werden in der hauseigenen Werkstatt durchgeführt, einmal pro Jahr gibt es eine Wartung durch die Lenkerbande Radwerkstatt im Sonnwendviertel Ost.

Versichern / Haftungsfragen: Es ist eine Versicherung durch „Wohnen im Grünen Markt“ abgeschlossen worden, der gröbere Schäden am Rad selbst, Diebstahl sowie Haftungsthemen abdeckt. 

Dokumentation / Schulungen: Der vereinsinterne Google Kalender wird als „Logbuch“ verwendet.  Ein Team von sechs Personen ist zuständig für das Lastenrad, führt Schulungen bei Mitgliedern nach Bedarf durch; im Regelfall übernimmt dieses Team auch die Übergabe & ev. Schulung an externe Ausleihende. Jede Kalenderwoche übernimmt ein anderes Mitglied die Hauptverantwortung und ist während der Ausleihe auch immer telefonisch erreichbar. 

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© Christian Fürthner / Mobilitätsfonds Wien

In der Praxis hat sich herausgestellt, dass die Fahrzeuge innerhalb der Gemeinschaft gut genutzt werden und geringe Zeitfenster für Dritte übrig bleiben. „Wohnen im Grünen Markt“ ist es gelungen, diese Situation durch ein zusätzliches Lastenrad sowie normale Leihräder zu entspannen. Ein E-Auto, ein weiteres E-Bike und E-Roller sind bereits in Planung. „Bikes and Rails“ hat dieses Problem so gelöst, indem es ein Lastenrad exklusiv für Dritte zur Verfügung stellt, das über das graetzlrad.wien gebucht werden kann. Im Sonnwendviertel wird dieses Modell neben dem Familienrad vom Grünen Markt  und und Bikes & Rails auch vom Sonnwendgarten praktiziert.

Professionelles/ standortgebundenes Carsharing für registrierte Benutzer:innen

Im Sonnwendviertel Ost stehen von MO.Point zwei E-Carsharing Fahrzeuge zur Verfügung. Zum Verleih steht ein VW E-Golf sowie ein Transporter (Kastenwagen) des Typs Nissan E-NV200. Die Fahrzeuge stehen im Erdgeschoss der Hochgarage Hauptbahnhof Ost, wo sie rund um die Uhr über eine eigene App ausgeliehen werden können. Für Dienstfahrten kann ein eigener Unternehmens-Account angelegt werden, über den die Verrechnung läuft. Das Angebot steht für alle offen und wird vom Mobilitätsfonds Wien für eine dreijährige Laufzeit gefördert.

Buchen / Reservieren erfolgt über eine App am Handy 

Zugang / Öffnen / Schließen: Die Fahrzeuge im SWVO stehen in einer Garage am Hauptbahnhof Ost. Die Fahrzeugen werden auch mit der App geöffnet.

Verrechnen / Logging: erfolgt über die App; Abbuchung über die Kreditkarte.

Pflegen / Warten / Versichern / Haftungsfragen ist MoPoint zuständig, denn das ist der Vorteil, wenn man/frau Mobilität von einem Unternehmen einkauft. Es spart Zeit. 

Dokumentation / Schulungen: Das MO.Point Angebot ist voll auf Digitalisierung ausgelegt. Unterstützung erhälst du über die App bzw. die Website. 

Im Sonnwendviertel gibt es noch ein zweites professionelles Carsharing das vom Mobilitätsfonds gefördert wurde: ShareToo

Genossenschaftliches Carsharing

Dieses Modell stellt eine Mischform dar, das Elemente eines professionellen Carsharing mit der Selbstorganisation einer Mobilitätsgemeinschaft verbindet. Zuerst braucht es vor Ort eine lokale Mobilitätsgemeinschaft, die bereit ist sich der Genossenschaft als Mitglied anzuschließen und die sich um den neu zu schaffenden Standort kümmert. Eine Co-Finanzierung der Mobilitätsangebote durch die lokale Community steigert das Bewusstsein und die Verantwortung für die Mobilitätsressource. Ausschließlich Mitgliedern der Genossenschaft ist es möglich zu vereinbarten Konditionen auf die Mobilitätsressourcen zurückzugreifen – dafür aber auch an allen verfügbaren Standorten der Genossenschaft, die im Falle von FAMILY of POWER mittlerweile in mehreren Bundesländern anzutreffen ist.

Anhand des Beispiels von FAMILY of POWER sollen die wichtigsten Themen zusammengefasst werden: 

Buchen / Reservieren: Mobilitätsressourcen werden über eine Online-Plattform bis zu 15 Minuten vorab für spontane Nutzungen reserviert und sonst für den gewünschten Zeitraum gebucht.  

Zugang / Öffnen / Schließen: Das Fahrzeug lässt sich mit einem RFID Chip oder dem Smartphone öffnen, um die Ausleihe zu beginnen. Im Fahrzeug befindet sich ein Autoschlüssel, mit dem auch das Fahrzeug während der Ausleihe verschlossen werden kann. Am Ende wird es wieder wie bei der Öffnung mittels RFID-Chip geschlossen. Dafür ist kein Handyempfang notwendig, weswegen auch Tiefgaragen als Abstellorte geeignet sind.  

Verrechnen / Logging: Aus den Daten der Nutzungsdauer wird eine Rechnung automatisch erstellt. Abbuchungen von Kreditkarten oder Konto mit Guthaben sind möglich.  

Pflegen / Warten: Vor Ort ist mindestens eine Person als „Kümmerer“ tätig. Er/Sie besorgt kleine Tätigkeiten rund um die Fahrzeuge: Reinigung, Kleinere Wartungsarbeiten,…. Für sein/ihr Engagement bekommt er/sie ein Freifahrtkontingent. Darüber hinaus gibt es einen Wartungsvertrag mit einer lokalen Werkstatt für KfZ-Fahrzeuge und mit einer lokalen Fahrradwerkstatt für die Fahrräder. 

Versichern / Haftungsfragen: Für die gesamte Genossenschaft ist eine Versicherung sowie ein entsprechender Haftungsschutz abgeschlossen.  Hier braucht es keine separaten Verträge vor Ort.

Dokumentation / Schulungen: Über die Online-Plattform sind alle relevanten Informationen bis hin zur Fahrzeuganleitung zu finden. 

Je nach euren Bedürfnissen und Möglichkeiten, werdet ihr ein passendes Betreibermodell auswählen und es an eure Bedürfnisse anpassen. Für jedes Modell gibt es passende Software-Werkzeuge, Apps und Web-Plattformen, die wir euch im nächsten Teil der Beitragsreihe vorstellen werden.

Wir hoffen dir hat der dritte Teil in unsere MobiPool-Reihe gefallen. Wenn du deine Erfahrungen mit uns Teilen möchtest, kannst du das gerne unter mobipool@realitylab.at oder mittels Kommentar (weiter unten) tun. In Teil 4 der MobiPool-Reihe geht es um verschiedene Plattformen rund um das Teilen von Fahrzeugen.

Das Projekt MobiPool wurde aus den Mitteln des Mobilitätsfonds Wien gefördert.

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