Wie passiert Gemeinschaffen am Zukunftshof in Rothneusiedl?

Mit der zunehmenden Erschöpfung von natürlichen Ressourcen sind die Forderungen nach neuen Ansätzen in der Stadtplanung groß. Die konsumierende Stadt muss in eine zukunftsfähige und nachhaltige Stadt transformiert werden. Doch welche Ansätze braucht es hier genau? Es gibt eine Vielzahl an Ideen aus den unterschiedlichsten Disziplinen. Doch wie kann dieser wertvolle Ideen-Pool in die Praxis umgesetzt werden?

Ich habe mich mit Andreas Gugumuck, dem Mitbegründer des Zukunftshof in Rothneusiedl, getroffen. Andreas züchtet seit 2008 auf dem Gemüseacker neben dem Zukunftshof Weinbergschnecken. Der Zukunftshof im 10. Wiener Gemeindebezirk ist eingebettet in die landwirtschaftlich geprägte Umgebung von Rothneusiedel, welche auch gleichzeitig ein neues Stadtentwicklungsgebiet der Stadt Wien darstellt. Mit und um den Zukunftshof haben sich eine Gruppe von Menschen engagiert und vernetzt, um Antworten auf folgende Fragen zu erarbeiten: Wie können wir unsere Städte unabhängiger von überregionalen Versorgungsketten machen? Wie können Städte als Ökosysteme gedacht und weiterentwickelt werden? Wie können Nachbarschaften ermächtigt werden? Und welche Organisationsform braucht es hierfür? Dabei wird der Zukunftshof als Reallabor und Beratungsstelle verstanden. Ich habe nachgefragt, wie Gemeinschaffen auf dem Zukunftshof stattfindet und was das für die Ernährung in der Zukunft bedeutet.

Andreas war Teilnehmer und Inputgeber zum Thema „Die Zukunft der Ernährung in der Stadt“ bei unserer Startveranstaltung im Juli 2021.

Lieber Andreas, kannst du mir zu Beginn vom Zukunftshof erzählen?
Wie ist es von der Idee zur Umsetzung gekommen?

©Christian Steinbrenner

Das Ganze hat so begonnen, dass dieser wunderbare Hof abgerissen werden sollte. Das konnten wir zum Glück verhindert. Und danach war erstmal jahrelang Stillstand. Es gab zwischenzeitlich mal eine Hausbesetzung. Aber es war natürlich kein Konzept für eine entsprechend würdige Nutzung. Und da haben wir im Jahr 2018 ein Positionspapier verfasst und den Verein „ZukunftsRaum Rothneusiedl“ gegründet. Wir haben das Projekt auch von Anfang an groß gedacht und auch die gesamte Umgebung vom Zukunftshof mitgedacht. Die Gruppe ist von selbst immer größer und interdiziplinärer geworden: Viele Studierende von Raumplanung bis Architektur, Menschen aus den Bildungs- und dem Sozialbereich. Wir haben uns gemeinsam überlegt, wie könnte eine entsprechend würdige Nachnutzung sein? Parallel bin ich auch viel lobbyieren gegangen und habe mit der Wohnbaustadträtin und SPÖ-Chefin von Favoriten Kathrin Gaal gesprochen. Und so kam es dazu, dass wir dem Wohnfonds, dem Eigentümer des Zukunftshofs, unser Konzept vorgestellt haben. Wir wollen die landwirtschaftliche Tradition dieses Hofes weiterführen und haben uns sehr bemüht, die Zivilgesellschaft dabei zu ermächtigen!

Wir haben eine Gruppe aufgebaut und uns einmal im Monat über fast zwei Jahre getroffen und das Konzept weiterentwickelt. Im Jänner 2019 kam dann die Ausschreibung vom Wohnfonds. Es wurde ein wirtschaftliches Konzept gefordert, bei dem Vereine und Initiativen ausgeschlossen worden sind. Darum haben wir gemeinsam mit unseren Produzent:innen die Genossenschaft „Zukunftshof“ gegründet und bei der Ausschreibung teilgenommen. Ein halbes Jahr später haben wir dann den Nutzungsvertrag ausgehandelt. Anfang 2020 fand die Schlüsselübergabe statt und wir haben den Nutzungsvertrag für die nächsten 25 Jahre unterzeichnet. Neben der Genossenschaft bietet der Verein Stadtlandwirtschaft Favoriten die entsprechende Basis für das bürger:innenschaftliche und nachbarschaftliche Engagement einer nachhaltigen Entwicklung und Vernetzung in Rothneusiedl.

Welche Organisationsform braucht es für ein Gemeinschaftsprojekt wie den Zukunftshof?

©Zukunfshof

Wie integriert ihr das Thema Ernährung in eurem Konzept und wie wollt ihr die Umgebung Rothneusiedl mit einbinden?

©Zukunfshof

Wir haben hier Ernährung auf verschiedenen Ebenen. Einerseits wollen wir innerhalb der Genossenschaft mehr Kreisläufe schließen. Jede:r Produzent:in muss sich diesem Kreislaufwirtschaftsgedanken „unterwerfen“. Das bedeutet zum Beispiel, dass sich alle an das Energienetz anschließen und schauen, ob Nährstoffe schon vorhanden sind, bevor sie eingekauft werden. Der Eingeweidesack von meinen Schnecken ist zum Beispiel perfektes Fischfutter für die Welse, die es hier in der Umgebung gibt. Es wird nichts weggeworfen, sondern alles wird weiter verwertet. Wir teilen Personal, Infrastruktur, Logistik und IT-Systeme. Wir sind auch sehr engagiert mit anderen Initiativen, wie dem Ernährungsrat Wien. Mit der Gruppe „Raum und Stadtplanwirtschaft“ wollen wir die Bürger:innen in Wien ermächtigen, dass sie selbst entscheiden, was sie essen. Wir ergänzen Selbsternte mit den modernen Formen der Landwirtschaft, wie z.B. Vertical Farming, Aquaponik, Insekten- und Pilzzucht, also alles was im urbanen Raum möglich ist. Bei der Wirtschaftsagentur haben wir ein Projekt gewonnen – die Zukunftstafel – mit dem Ziel ein Konzept auszuarbeiten, dass sich wirtschaftlich trägt. Da bringen wir insgesamt 100 Akteure zum Thema Ernährung – von Wissenschaftler:innen über politische Entscheidungsträger bis hin zum Konsumenten – an eine Tafel. Zusätzlich werden wir Leute aus der Nachbarschaft zufällig anschreiben, denn um die geht es uns wirklich. Es soll keine Podiumsdiskussion von Expert:innen werden, sondern jede:r soll mit einbezogen werden. Das Ganze wird vom Künstlerduo honey und bunny kuratiert. Ende Mai 2022 soll schon die erste große Tafel stattfinden. Mehr Informationen gibt es dann in unserem Newsletter.

Ab Frühjahr machen wir eine große Crowdfunding Kampagne. Das Ziel ist es ein Projekt der Nachbarschaft zu entwickeln. Wenn es Investoren gibt, müssen die auch erkennen, dass es uns um den Impact geht. Es ist ein Leuchtturmprojekt mit dem Ziel einen gesamten Stadtteil positiv zu beeinflussen. Es soll eine essbare Stadt werden und eine Stadt für Bürger:innen. Die Zivilgesellschaft muss da transparent von Anfang an mit einbezogen werden.

Habt ihr ein Finanzierungskonzept?

Was ist deine Vision für die Zukunft?

Dass wir gemeinsam mit der Wissenschaft hier ein Leuchtturmprojekt geschaffen haben, welches auch im Großen umgesetzt wird. Hier sollen in Zukunft moderne Technologien, wie Vertical Farming, betrieben werden und Projekte unterstützt werden, die einen starken sozialen Nutzen haben. Wir wollen eine Stadt der Zukunft mit einer Gesellschaft erschaffen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Wir sind in einem Umbruch und der Hof soll ein utopischer Ort werden, auf dem wir gemeinsam mit Wissenschaft und Politik wichtige Fragestellung durchgehen können, wie z.B. das bedingungslose Grundeinkommen mit dem Für und Wider. Es muss ein Umdenken erfolgen und jede:r muss sich beteiligen, da es sonst nicht funktioniert. Die verschiedenen Kompetenzen jedes Einzelnen müssen sichtbar gemacht werden. Man hat als Bürger:in durchaus auch eine Funktion in der Gesellschaft und ist auch bereit etwas zurückzugeben.

Genau. Wir wollen eine Gesellschaft von mündigen Stadtproduzent:innen, die Sachen reparieren und sich selbstbewusst zusammen schließen. Beim Thema Ernährung muss die Zivilgesellschaft noch viel mehr ermächtigt werden. Bürger:innen sollen selbst entscheiden, welche Produkte es in den Supermärkten gibt, wo sie herkommen und wie sie produziert werden. Essen ist ein nachhaltiger Akt, es geht um „good food – good mood“. Das ist gerade der Trend schlechthin. Damit kann sich jede:r auch politisch ausdrücken. Es gibt ein gutes Buch dazu von Hanni Rützler (Food Report), das jährlich vom Zukunftsinstitut herausgegeben wird. Wir versuchen auch diese Themen aufzugreifen. Die Schnecke ist auch ein future food, wo ich ganz wenige Ressourcen brauche, um hochwertiges Protein zu erzeugen.

Also so zu sagen vom Konsumenten zum Co-Produzenten zu werden?

©Salomo

Nochmal zurück zur Vision: Wie soll Gemeinschaffen am Zukunftshof in den nächsten Jahren stattfinden?

Wir wollen Kunst und Kultur – von Festivals zu Open Air Kinos mit freiem Eintritt – an den Stadtrand bringen. So werden auch unsere Themen gut vermittelt. In 20 Jahren ist das ein Vorzeigehof, auf dem wir durchaus die Gesellschaft der Zukunft vorzeigen können. Das Wirtschaften der Zukunft ist Kooperation. Das heißt wir teilen und nutzen gemeinsam Ressourcen, Maschinen, Wissen, Personal, IT-Systeme usw. Und so können wir auch in Zukunft mit großen Konzernen konkurrieren. Der Schlüssel zum Erfolg wird dann die Einführung einer eigenen Regionalwährung sein. Da gibt es schon ganz viele Beispiele, wie den Gastrogutschein. Da geht es um das Sichtbarmachen von kleinen Unternehmen in der Nachbarschaft.

Nicht lange denken und reden, sondern starten und ins Tun kommen! Und je mehr jede:r mobilisieren kann, desto größer ist auch das politische Gewicht. Es gibt keine falschen Entscheidungen, wenn du alles dafür tust, dass es die richtige Entscheidung war. Das geht mit einer Bildungsrevolution einher: Es braucht wieder vermehrt Lust, sich selbst Wissen anzueignen und zu teilen!

Was würdest du anderen mitgeben?

Danke für das interessante Gespräch!

Wie kann man mit euch am niederschwelligsten in Kontakt treten?

Am besten, indem du einfach unseren Newsletter abonnierst. Dort erfährst du alles zu den anstehenden Veranstaltungen und was sich sonst so auf den Zukunftshof tut. Außerdem machen wir unsere Aktivitäten auch auf Facebook und Instagram sichtbar. Jede:r ist auch sehr Willkommen Mitglied zu werden und den Zukunftshof aktiv mitzugestalten!

Veranstaltungstipp: Wir freuen uns schon auf unser nächstes Festival, dem Zukunftserwachen 2022, das am 23. und 24. April am Zukunftshof stattfindet.

Bist auch du in einem Projekt involviert, das durchs Gemeinschaffen lebt? Und suchst du noch Andere, mit denen du deine Projektidee verwirklichen kannst? Wir freuen uns über deine Anregungen und Ideen unter gemeinschaffen@realitylab.at und helfen dir gerne bei der Vernetzung!

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