Dieser Beitrag ist im Rahmen von BauZ! Wiener Kongress für zukunftsfähiges Bauen „Weniger. Aber mehr daraus machen“ entstanden.
AUTOREN
Katharina Franziska Schlager, Gerhard Hofer, Sama Schoisengeier, e7 energy innovation & engineering (e7)
Micha Schober, Gernot Tscherteu, realitylab
ABSTRACT
An active community of residents in Kahlenbergerdorf has set the goal of becoming climate-neutral and has founded the association “Klimadörfl” for this purpose. A transformation roadmap for achieving a climate-neutral heat supply by 2040 will now help to reach this goal. Subsequently, a specific area will be selected for a pilot implementation. Ensuring acceptance among the residents is essential for the successful realisation of the project. This is achieved through the continuous involvement of the residents in the project by the association with the support of experts. To develop the transformation roadmap, data and simulation results are summarized in a QGIS model to represent energy potentials and requirements.
EINLEITUNG
Die Stadt Wien hat im Jänner 2022 einen Plan für die Transformation zur Klimaneutralität bis 2040 vorgelegt [1]. Nun soll auch für das Kahlenbergerdorf ein Transformationsfahrplan für eine erneuerbare Wärmeversorgung bis 2040 erstellt werden.
Das Kahlenbergerdorf (Abbildung 1) ist ein kleiner Stadtteil in Döbling im Norden Wiens, dessen Ortskern in einer Schutzzone der Stadt Wien steht. Die Wärmeversorgung basiert zum Großteil auf Erdgas. Eine aktive Gemeinschaft aus den Bewohner:innen des Kahlenbergerdorfs hat sich das Ziel gesetzt klimaneutral zu werden. Der Transformationsfahrplan für erneuerbare Wärmeversorgung ist ein erster Schritt und soll dabei helfen dieses Ziel zu erreichen. Zudem wird mit den Bewohner:innen ein Geschäftsmodell zur Umsetzung eines Wärmenetzes entwickelt und ein Teilgebiet für die Umsetzung festgelegt. Aus den Erfahrungen entsteht ein Leitfaden für zukünftige vergleichbare Projekte.
Das Quartier liegt an der Donau, die Siedlungsstruktur bietet eine verdichtete Bebauung im Ortskern und ein Straßendorf in Hanglage. Die Gebäudetypen reichen vom Winzerhaus über moderne, freistehende Einfamilienhäuser bis zum dreigeschoßigen Bürgerhaus; Ihre Entstehungsjahre variieren ebenso wie ihre Dämmstandards.
Ein signifikanter Anteil der Gebäude steht auf Baurechtsgründen, welche sich im Eigentum des Stifts Klosterneuburg befinden. Es besteht ein Nutzungsmix aus verschiedenen Formen:; Wohngebäude, Gastronomie und Fremdenzimmer sowie Pfarrgebäude. Der Transformationsfahrplan für erneuerbare Wärmeversorgung beinhaltet die konkreten Maßnahmen, einen Zeitplan der Umsetzung, gegebenenfalls Übergangslösungen, die Größenordnung der Kosten, einen CO2 Absenkpfad sowie Einbeziehung der betroffenen Akteure und Gebäudeeigentümer:innen. Die Akzeptanzsicherung wird durch einen Partizipationsprozess in Zusammenarbeit mit dem lokalen Verein “Klimadörfl” sichergestellt. Dieser Prozess, der neben inhaltlicher Arbeit auch Gemeinschaftsbildung vorsieht, ist die Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung des Projekts im Kahlenbergerdorf. Das im Prozess erarbeitete Organisations- und Geschäftsmodell befasst sich sowohl mit Errichtung, Betrieb, Eigentumsverhältnissen und Instandhaltung des Wärmenetzes.
METHODISCHE VORGANGSWEISE
Einige Bewohner:innen haben sich bereits vor Projektbeginn mit dem Ziel eines klimaneutralen Kahlenbergerdorfs im Verein “Klimadörfl” organisiert. Um der äußerst heterogenen Struktur an Nutzer:innen und Eigentümer:innen der Objekte im Kahlenbergerdorf begegnen zu können, bietet dieser von den Bewohner:innen begründete freiwillige Zusammenschluss, den notwendigen Rahmen, um die Strukturen einer entscheidungsfähigen, lokalen Community aufzubauen.
Der Verein schafft die Möglichkeit auch als Nachbarschaft gemeinschaftlich tätig zu sein, Versammlungen abzuhalten, Grundsatzentscheidungen zu treffen und Erkenntnisse über Möglichkeiten und Interessen der Nachbar:innen zu gewinnen. Zudem nimmt das “Klimadörfl“ als Projektpartner aktiv an Konsortialtreffen teil, begleitet persönlich den Datenerhebungsprozess vor Ort und erarbeitet mit Expert:innen notwendige Organisationsstrukturen zur späteren Umsetzung sowie zum Betrieb des Pilotareals. Dies geschieht durch Infoveranstaltungen, Visions-Workshops, laufende Gruppentreffen, die Bildung von Arbeitsgemeinschaften und auch im Zuge der Datenerhebung mittels Fragebogen und Befragungen vor Ort. Der Verein spielt somit eine zentrale Rolle bei der Aktivierung der Bewohner:innen und durch die Verbreitung von relevanten Wissen übernimmt er auch eine wichtige Bildungsaufgabe. Er wird dabei von den Projektpartnern e7 und realitylab unterstützt: e7 vermittelt Knowhow und sorgt für die technische Orientierung auf dem Wärmetransformationspfad; realitylab unterstützt die Gemeinschaft dabei, sich durch Selbstorganisation zu befähigen, selbst eine tragende Rolle bei der Transformation zu übernehmen und sich von der Abhängigkeit von fossilen Energieformen zu befreien.
Urbanes Informationsmodell:
Ein wichtiges Kriterium für die technische Konzeptionierung des Transformationsfahrplans ist die räumliche Verteilung von Nachfrage und Verfügbarkeit der erneuerbaren Energie im Quartier. Daher werden sämtliche erhobene Daten, sowie Ergebnisse der Energieraumanalyse in einem GIS-Modell gesammelt (Siehe Abbildung 3). Dieses bildet eine Grundlage zum Erarbeiten der technischen Lösungen und des Transformationsfahrplans. Ausgehend von den Daten des GIS-Modells werden typische Gebäude definiert. Mittels dynamischer Gebäudesimulation der definierten Typen werden Leistungs- und Energiebedarf des Gebäudebestands über das gesamte Jahr möglichst genau abgebildet. Die Ergebnisse werden ebenfalls in das GIS-Modell eingespielt.
ERSTE ERGEBNISSE
Seit der Gründung des Vereines wurden nach einer Phase von Visionsfindung und Aufbau erster Organisationsstrukturen, insbesondere Formate der nachbarschaftlichen Fortbildung und Entscheidungsfindung, entwickelt.
Im Rahmen eines Visionsworkshops wurde nicht nur die gemeinsame Sprache für den Wunsch nach einem klimaneutralen Quartier entwickelt (Abbildung 4), sondern es wurden sechs Arbeitsgemeinschaften (ARGE) gegründet, für die jeweils mindestens zwei Personen die Verantwortung übernahmen. Die ARGEs tauschen sich in einem Koordinationskreis, dem neben dem Vereinsvorstand auch e7 und realitylab angehören, regelmäßig aus. Die ARGEs umfassen folgende Themenbereiche Kommunikation, Ökonomisches Modell & Business Case, Rechtliches & Organisation, Soziales & Dorfgestaltung sowie Energie & Technik. Ihre Aufgaben besteht darin den jeweiligen Themenbereich durch eigene Aktivitäten (Informationsbeschaffung, Einholen von Expertisen, Veranstaltungen, Schaffung von Infrastrukturen etc.) zu entwickeln. Die Mitglieder der ARGE stellen den direkten Kontakt zu den Eigentümer:innen und Bewohner:innen im Quartier her und schaffen so die Möglichkeit relevante Abstimmungen auf kurzem Wege umzusetzen. Darüber hinaus stellen die ARGE Mitglieder mit ihrem lokalen Fachwissen und ihrer individuellen Expertise eine wichtige Ressource dar. Die ARGEs übernehmen auch ein wichtige Rolle dabei, das Vertrauen in die Erhebung von sensiblen Daten zum Energieverbrauch in den Haushalten herzustellen. Der Verein “Klimadörfl“ organisiert alle zwei Monate das „Forum Klimadörfl“: Neben Vorträgen von Expert:innen rund um Themen der Klimakrise gibt es Berichte der Konsortialpartner im Projekt „DieWärmepioniere“; auch die ARGEs berichten über Fortschritte in ihren jeweiligen Themenbereichen. Format schafft einen Ort für lebendigen Austausch an dem Grundsatzentscheidungen für die weitere Entwicklung des Projektes getroffen werden. Das abschließende Buffet ermöglicht auch das gemeinsame Feiern kleiner und großer Erfolge sowie den direkten Dialog zwischen den Bewohner:innen. Diese Veranstaltungen sind auch für interessierte Nachbar:innen offen und ermöglichen damit auch jene abzuholen, die sich noch nicht für eine Vereinsmitgliedschaft entschieden haben.
Durch die Entwicklung einer lokalen Gemeinschaft, die bereit ist selbst Verantwortung bei der Dekarbonisierung des Klimadörfls zu übernehmen, kann es auch leichter gelingen die zahlreichen bevorstehenden Herausforderungen wie Denkmalschutz, Widerstände bei den Behörden aber auch in der eigenen Nachbarschaft zu überwinden. Dialogformate und transparente Entscheidungsprozesse stellen wesenliche Instrumente für die Gemeinschaft dar, mit denen auch den Befürchtungen und Ängsten einer überwiegend älteren Bevölkerung (viele befinden sich bereits in der Pension) begegnet werden kann.
Ergebnisse der Datenerhebung:
Der Prozess der Datenerhebung startete mit einer Begehung. Hier wurde der Gebäudezustand von außen erhoben, um eine erste Abschätzung der Möglichkeiten für eine erneuerbare Wärmeversorgung vornehmen zu können. Im nächsten Schritt wurde ein Fragebogen an die Bewohner:innen verteilt. Der Inhalt umfasste nähere Angaben zum Gebäude wie Baujahr, Nutzfläche, Wärmeabgabe- und Wärmeverteilsystem, aber auch zur Bereitschaft am Projekt teilzunehmen. Dadurch konnte eine genauere Abgrenzung für ein mögliches Demoquartier getroffen werden. Die Befragung erfolgte in Haushalten, welche sich im möglichen Demoquartier befinden und welche an einer Teilnahme interessiert sind. Die Befragung umfasst eine Besichtigung der Gebäude von Innen wobei Daten wie Lage und Leistung des Wärmeerzeugungssystems, aber auch Art und Vorlauftemperatur des Wärmeabgabesystems erhoben wurden. Bei der Befragung wurde der Fokus daraufgelegt, Möglichkeiten des Anschlusses ans Wärmenetz zu eruieren.
Ergebnisse der Gebäudestruktur durch die Datenerhebung:
Die Datenerhebung zeigt einen sehr unterschiedlichen Gebäudebestand (siehe Abbildung 4). Die meisten Gebäude wurden vor 1900 errichtet und sind teilweise bis zu 400 Jahre alt. Einige Gebäude wurden bereits vollständig oder Teilsaniert. Um den Energie- und Leistungsbedarf möglichst genau abbilden zu können wurde der Sanierungsgrad in die Betrachtung miteinbezogen.
Ergebnisse der Energieraumanalyse:
Bei der Energieraumanalyse (Tabelle 1) wurde erörtert, welche erneuerbare Energiepotentiale einen Beitrag zur Wärmeversorgung liefern können. Von neun untersuchten Energiepotentialen konnten zwei, nämlich die Nutzung von Erdwärme mittels Erdsonden und die Grundwassernutzung mittels Brunnen, mit einem guten Potential eingestuft werden. Diese werden einer genaueren Betrachtung unterzogen. Die Nutzung von Biomasse ist möglich. Da aber dadurch vor Ort Emissionen entstehen, wird sie nur dann näher betrachtet, wenn das Wärmenetz auf Hochtemperaturniveau betrieben werden muss. Ob die Nutzung des Donauwassers möglich ist, ist derzeit noch unklar, wird aber geprüft.
WEITERE SCHRITTE
Im nächsten Schritt wird ausgehend von den Ergebnissen der Gebäudesimulation geprüft, ob die in der Energieraumanalyse eruierten Potentiale zur Wärmeversorgung ausreichend sind. Darauf aufbauend werden die technischen Lösungen des Transformationsfahrplans, wie beispielsweise Art des Wärmenetzes, Standort der Wärmezentrale sowie Anbindungsmöglichkeiten der Gebäude an das Wärmenetz, etc. erarbeitet. Ebenso wird eine Kostenabschätzung durchgeführt als Basis für die Entwicklung eines Organisations- und Geschäftsmodell. Auf Basis dieses Modells werden die zu erwartenden Kosten je Haushalt/Liegenschaft ermittelt.
Literatur
[1] Wiener Klima-Fahrplan, Unser Weg zur klimagerechten Stadt. Entwurf. Stand 21.01.2022. (n.d.). Retrieved from https://www.wien.gv.at/umwelt-klimaschutz/klima-fahrplan-2040.html
HINWEIS
Das Projekt „Partizipativer Klima-Transformationsfahrplan als Basis für ein Demo-Quartier im gas-versorgten Kahlenbergerdorf“ wird im Rahmen des Programmes Stadt der Zukunft des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) gefördert. Das Projekt wird von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) abgewickelt.