Bunt verpackt und völlig losgelöst von der Natur – so wirken viele Nahrungsmittel auf Kinder und Erwachsene. Das Essen in den sortierten Supermarktregalen suggeriert eine problemlose und scheinbar unbegrenzte Verfügbarkeit. Wie und wo wächst unser Essen? Wo und wie wird es produziert? Wie viel Fläche wird dafür verwendet? Welcher Arbeitsaufwand wird benötigt? Was sind die ökologischen Folgen und gesundheitlichen Auswirkungen? Die Antworten dieser Fragen sind für uns Konsument:innen meist nicht erkennbar. Dies möchte das WeltTellerFeld ändern. Wieso es ein WeltTellerFeld braucht, darüber habe ich mit Charlotte Kottusch (Mitbegründerin und Mitglied im Ernährungsrat Wien) gesprochen.
Liebe Charlotte, kannst du mir zu Beginn erzählen, was das WeltTellerFeld ist?
Das WeltTellerFeld beschreiben wir als interaktiven Bildungsort, an dem es möglich ist das sehr komplexe, abstrakte und globale Ernährungssystem auf einer konkreten Fläche mit verschiedenen Sinnen zu erfahren. Auf rund 3.000 m2 sind die Flächen und Kulturen dargestellt, die ein Mensch in Österreich durchschnittlich für die eigene Ernährung pro Jahr braucht. Die Aufteilung des Feldes macht deutlich, woher unsere Lebensmittel kommen (Inland 45% – Ausland 55% der Fläche) und wofür Flächen gebraucht werden (Tierfütterung 7% – direkter Verzehr 33% der Fläche). Hinter den verpackten Lebensmitteln verstecken sich wichtige Informationen, wie z.B. das Flächen für den Futteranbau von Nutzungstieren benötigt werden, die vielen Menschen nicht bewusst sind. Dies möchten wir erfahrbar machen, zum einen, in dem man diese Flächen beschreitet und sieht wie viel Platz und auch Arbeit dahintersteckt, diese Lebensmittel zu erzeugen als auch begleitende Informationen, die wir bei Workshops oder Führungen mitgeben. Schilder und Stationen mit interaktiven Fragen und Anregungen laden Interessierte zum Erkunden ein.
Bekannt waren uns ähnliche Projekte, wie der Weltacker in Berlin, das mittlerweile ein ganzes Netzwerk ist und auch bald in Innsbruck entsteht. Diese Projekte sind konzeptionell und von ihrer Herangehensweise anders aufgesetzt. Durch den Film „Anders Essen – Das Experiment“ von Kurt Langbein haben wir – der Ernährungsrat Wien – gemeinsam mit Brot für die Welt zusätzlichen Antrieb bekommen, die Idee längerfristig auf einer konkreten Fläche in Wien anzulegen. Im Jänner 2020 sind wir gestartet. Nach langer Suche einer geeigneten Fläche, sind wir im 22. Bezirk als Teil der Kleinen Stadt Farm fündig geworden. Im März 2021 konnten wir mit der Vermessung beginnen und das Konzept auf die Fläche bringen. Über den letzten Sommer haben wir sowohl an den Hintergründen, Bildungskonzepten und der Website getüftelt und haben bereits erste Schulklassen-Workshops mit über 200 Schüler:innen veranstaltet. Im Oktober hat unser erster Kennenlerntag stattgefunden und im Mai 2022 feiern wir unsere Eröffnung.
Wie ist das WeltTellerFeld entstanden?
Das WeltTellerFeld ist ein Projekt des Ernährungsrates. Was macht der Ernährungsrat?
Der Ernährungsrat Wien versteht sich als zivilgesellschaftliche Plattform zur Gestaltung eines nachhaltigen Ernährungssystems für Wien. Die Aufgaben teilen sich auf zwei Ebenen auf, zum einen gibt es die Bestrebungen, Ernährungspolitik wieder auf die lokale Ebene zurück zu holen und das Ernährungssystems inklusiver, resilienter und klimafreundlicher zu gestalten. Unsere Ausarbeitung einer Ernährungsstrategie in Zusammenarbeit mit der Wiener Umweltschutzabteilung (MA 22) wurde im Koalitionsvertrag verabschiedet und bettet sich in den Lebensmittelaktionsplan der Stadt Wien ein, an dem wir derzeit weiterarbeiten. Mit der zweiten Ebene möchten wir über diverse, praktische Maßnahmen, die Beteiligung der Bevölkerung zu diesen Themen erhöhen. Unsere vier Arbeitskreise „Stadt-Landwirtschaft und Raumplanung“, „Ernährungsbewusstsein und -bildung“, „Gemeinschaftsverpflegung“ und „Alternative Lebensmittelbezugsquellen“, in denen ca. 5 bis 15 Personen pro Arbeitskreis zusammenkommen, organisieren Veranstaltungen, initiieren Projekte (wie z.B. das WeltTellerFeld) und Onlinekampagnen, um dieses Ziel zu erreichen.
Warum es Ernährungsräte braucht, wie Ernährungsräte entstanden sind und was sie schon erreicht haben, erfährst du auf der Website des Ernährungsrats Wien unter https://ernaehrungsrat-wien.at/faq/
Unsere Vision ist, dass jede:r Schüler:in in Wien und Umgebung die Möglichkeit hat, sich über das WeltTellerFeld mit dem Thema Ernährung und den Auswirkung von Ernährung auf die Gesundheit, das Klima und die Umwelt auseinanderzusetzen und damit langfristig die Wertschätzung für Lebensmittel zu steigern. Unsere Besucher:innen erkennen die Stellschrauben, wie sie selbst ihren Alltag zu einer nachhaltigen Ernährung ändern können und zeigen auf, wie sich auch auf systemischer Ebene Verhältnisse wandeln sollten, damit die Optionen im Supermarkt nur noch Gute sind. Mit konkreten Lösungsansätzen erleben und erfahren die Besucher:innen die transformative Kraft ihrer eigenen Handlungen. Wenn bis 2030 jede Schule in Wien das WeltTellerFeld besucht hat, wäre das grandios!
Was ist die Vision des WeltTellerFelds?
Wie seid ihr organisiert?
Wir sind im Kernteam zu viert: Nikolai Ritter von die Kleine Stadt Farm, Carina Scheibreithner, Bildungsreferentin bei Brot für die Welt, Anna Krulis und ich von Seiten des Ernährungsrates. Außerdem werden wir unterstützt von unserem Partner Hallo Klima im Bereich Klimabildung und Didaktik. Unsere Freiwilligen vor Ort, die an den regelmäßigen Mitmachtagen anpacken und Personen aus dem Ernährungsrat, die uns konzeptionell unterstützen, ergänzen unsere Initiative. Geplant ist es, dass wir uns als eigenständiger Verein organisieren.
Zwei große Herausforderungen sind die zeitlichen und die finanziellen Ressourcen. Wir arbeiten für das WeltTellerFeld und den Ernährungsrat ehrenamtlich und es braucht Geduld, weil vieles immer mal wieder länger dauert als gedacht. Ein sehr unliebsames, aber fundamentales Thema sind die Finanzen, um Projekte solcher Art starten und langfristig erhalten zu können. Dafür ist es gut proaktiv und mutig zu sein und nicht auf Aufrufe von Förderprogrammen zu warten, das Netzwerk zu nutzen sowie viele Fragen zu stellen und einfach auszuprobieren. Mehr als ein Nein wird nicht kommen. Wir haben auch gelernt, dass es wichtig ist, diese knappen zeitlichen Ressourcen gut zu organisieren und zu nutzen, d.h. klare, transparente Strukturen für Treffen und Entscheidungsfindungsprozesse zu schaffen, sowie eine Frustrationstoleranz aufzubauen.
Was habt ihr gelernt?
Was bedeutet für euch Gemeinschaffen?
Das WeltTellerFeld ohne eine der mitwirkenden Personen würde so nicht umsetzbar sein. Es braucht dieses Ineinandergreifen der verschiedenen Fähigkeiten, Nikolai macht die Landwirtschaft, Carina die Bildung, Anna und ich die Koordination und es braucht alle und jede Fähigkeit. Wenn wir das nicht gemeinsam machen würden, dann würde es an einer Stelle stehen bleiben und nicht weitergehen. Das macht für mich Gemeinschaffen aus.
Oftmals scheint es wie eine Hürde, etwas anzugehen, was sich wie die Ernährung als Gewohnheit eingespielt hat, aber es lohnt sich einen ersten Schritt zu machen und zu versuchen darüber neu nachzudenken und Neues zu probieren. Wichtig ist dabei, die Veränderungen nicht nur mit Mühe und Verzicht zu assoziieren, sondern einen Weg zu finden, der gleichzeitig die Lust an der Mit- und Neugestaltung weckt. Beim Thema Essen ist das Ganze sehr schmackhaft 🙂
Was möchtet ihr anderen mitgeben?
Danke für das bereichernde Gespräch!
Wie kann man bei euch mitmachen?
Wir veranstalten regelmäßig Mitmachtage, an denen bei der Gestaltung des WeltTellerFelds mitgeholfen werden kann – schau da am besten auf unsere Website für die aktuellen Termine und melde dich gern über unsere Mailadresse kontakt@welttellerfeld.at bei uns an. Wir freuen uns auf tatkräftige Unterstützung und die gemeinsame Jause, um uns näher kennenzulernen.
Bist auch du in einem Projekt involviert, das durchs Gemeinschaffen lebt? Und suchst du noch Andere, mit denen du deine Projektidee verwirklichen kannst? Wir freuen uns über deinen Kommentar und/ oder deine Anregungen und Ideen unter gemeinschaffen@realitylab.at. Wir helfen dir gerne bei der Vernetzung!