Kunst am Bau: Künstlergespräch mit Moussa Kone 

Kurz nach Fertigstellung des Projektes “The Great Vibration” hat realitylab am 10. Juni 2022 Moussa Kone zum Künstlergespräch für Interessierte und Bewohner:innen eingeladen. Neben Einblicken in die Entstehung des Kunstwerkes und Gedanken des Künstlers zum Ort ging es auch um die Rolle von „Kunst am Bau“ im geförderten Wohnbau. Das Gespräch führte Gernot Tscherteu. 

Projektzugang: ein Kanal, ein Durchgang und die Cholera 

Lieber Moussa, wie hast du dich in das Projekt eingearbeitet?

Durchgang Wohnhausanlage Schöne Aussichten ©realitylab
©realitylab

Als erstes habe ich natürlich die Wettbewerbsunterlagen studiert, wo einige Sachen schon drinnen standen, zum Beispiel die Architekturpläne, die Fotos von den Locations. In dem Fall war ein springender Punkt das die Durchgangsfläche nicht bebaut werden darf, weil das laut Flächenwidmungsplan eine Einbautentrasse ist und da ein Kanal durchgeht. Laut Ausschreibung war einfach nur eine Gestaltung für den Durchgang gewünscht. Aber was mir sofort aufgefallen ist: da gibt es einen Kanal, und vielleicht gibt es zu dem Kanal ja eine Geschichte. Und es hat sich eben sehr schnell herausgestellt, dass da eine interessante Geschichte dahintersteckt. 

Der Bezug zur Cholera ist automatisch durch den Kanal gekommen, weil alle diese Kanäle sind wegen der Cholera Epidemie gebaut worden. Pläne für ein Kanalnetz gab es schon im 18. Jahrhundert, sie wurden aber lange Zeit nicht umgesetzt. Erst als die Cholera-Epidemie nach Moskau gekommen ist, hat man in Wien damit begonnen die Kanäle auszubauen, sozusagen in weiser Voraussicht. Man hat damals geglaubt, das hängt mit der schlechten Luft zusammen und die Kanäle waren eben eine Möglichkeit Abhilfe zu schaffen und schlechte Luft nicht entstehen zu lassen.  

Wie ist es dann zu dieser speziellen Gestaltung und dem Bezug zur Cholera gekommen?

Du hast den Kanal besichtigen können, wie war das?

Ich hatte das Glück, dass mir Wien Kanal zu meiner Überraschung ein ganzes Team zur Verfügung gestellt hat. Du darfst dort wirklich keine Platzangst bekommen, so habe ich auch nicht lange überlegt und bin dann einfach rein. Ich wusste, okay da sind jetzt 7 Leute nur wegen mir da, da muss ich jetzt durch; aber es ist schon eng, es ist feucht, es ist nass, und es riecht. Dieser Kanal liegt auch ungewöhnlich tief, acht Meter unter der Erde; sonst sind es drei Meter oder so. Irgendwo ist ein Steilufer von einem alten Donau-Arm, den es schon lange nicht mehr gibt, und der Kanal durchbricht dieses Steilufer und musste deswegen tiefer angelegt werden. Also du musst da hinunter, acht Meter in die Tiefe, durch einen Schacht, der so breit ist wie meine Schultern und dann über einen kleinen Verbindungsschacht. In gebückter Haltung gelangst du in diesen zwei Meter hohen Ziegelkanal von 1873

Er hat einen eiförmigen Kanalquerschnitt; das war eine technische Errungenschaft im 19. Jahrhundert, weil das die Durchflussgeschwindigkeiten optimiert. Die Eiform hat man deswegen gewählt, weil selbst bei niedrigem Wasserstand die Durchflussgeschwindigkeiten auf einem gewissen Level bleiben. Um 22 Uhr sind wir ungefähr bis unterm Knie im Wasser gestanden; da war der Wasserstand recht niedrig, weil es eben in der Nacht war; tagsüber wäre das nicht möglich. Ich weiß nicht genau wie hoch, aber deutlich höher. Der eiförmige Kanalquerschnitt findet sich auch am Boden im Hausdurchgang wieder. 

Entstehung weiterer Motive 

Wie sieht der Kanal selbst aus?

Wie sind die anderen Bildelemente in Deiner Arbeit entstanden?

Modellfoto ©Moussa Kone

©Martin Bilinovac

Es ist viel im Dialog entstanden. Ich habe im Studio Modelle gebaut und mir dann ganz gezielt ein paar gute Freunde eingeladen, die auch etwas mit Kunst zu tun haben. Ich habe ihnen mein Projekt erklärt, wir haben darüber geredet und von jedem dieser Personen kam ein Satz, wo ich gesagt hab, wow, das muss ich irgendwie reinbringen. So z.B. sagte meine Atelierkollegin, dass das an der Decke ausschaut wie ein Kanal. Ein anderes Beispiel: Ich habe darüber nachgedacht eine Fake-Kanaldeckel zu machen, quasi wie ein Zugang zu einem Kanal zu machen, der nicht funktioniert. Eine Freundin, die selber Kinder hat, hat mich dann drauf aufmerksam gemacht, dass es ganz viele Bodenmuster und Kinderspiele gibt, wo man am Boden irgendwas machen kann, und das habe ich mir dann angeschaut, die ganzen Hüpfspiele und so und das hat dann zu diesem Kanalmuster geführt. Ich bin den Leuten dankbar, die mir Feedback gegeben haben. 

Ich habe alle möglichen Sachen durchgespielt, habe versucht mehrere verschiedene Motive an die Wand zu machen, aber das hat überhaupt nicht funktioniert, weil das immer in Konkurrenz stand zu den Einbauten, die mehr oder weniger zufällig über die Wand verstreut sind; mal ein Lüftungsgitter, eine komische runde Abdeckung von irgendeiner anderen Lüftung, auf der anderen Seite hast du die Garagenbelüftung. Daneben hat nichts eine Chance, was jetzt ein eigenständiges Bild sein sollte. Deswegen ist es im Endeffekt darauf hinausgelaufen, alles, was schon vorhanden war, miteinzubeziehen; deswegen der Kanal an der Decke, der halt wirklich zum Kanal geworden ist oder die Lüftungsgitter, die zum Abfluss geworden sind oder Bakterien, die ins Motiv einbezogen worden sind. Cholera wird verursacht durch Stäbchenbakterien, die so genannten Vibrionen, die hier prominent in großer Zahl an die Decke gemalt sind – weswegen die Arbeit auch „The Great Vibration“ heißt. 

Nachdem ich den Kanal eben als Kanal an der Decke nutzen wollte, war für mich die Frage, was kommt da rein in den Kanal und da hatte ich früher mal mehr Figuren geplant und im Endeffekt sind zwei übriggeblieben, die sozusagen einer hygienischen Tätigkeit nachgehen und etwas in den Kanal reinleeren, nach oben also gegen die Schwerkraft, weil der Kanal ja an der Decke ist. Der mit dem Wischmopp war eine Verstärkung dieser Figur, die das nach oben leert; also eine kollaborative Arbeit. Die zwei sind geschlechtsneutral dargestellt, weder weiblich noch männlich und mit Flip-Flops verkörpern sie eine Art Häuslichkeit, weil ich im Zuge der Recherche festgestellt habe, dass das ganze moderne Zusammenleben auch eine Antwort auf Krankheiten und auf Epidemien ist. Viele von den Errungenschaften des modernen Lebens sind zurückzuführen auf Epidemien in der Vergangenheit, wie eben der Kanal oder das fließende Wasser, was heute in jeder Wohnung so selbstverständlich ist. Du drehst das Wasser auf und es ist da, es fließt weg und keiner weiß wohin, es ist halt einfach weg… Mir ging es mit der Arbeit auch darum, jene Strukturen sichtbar zu machen, die im Untergrund der Stadt verborgen liegen; ein Netz von Kanälen das in Schuss gehalten werden muss. Zum Beispiel dieser Kanal von 1873 wird permanent ausgebessert; da hast du ganz viele Mörtelausbesserungen und Kalksteinablagerungen, das ist dann in den Fries über dem Durchgang eingeflossen. Dieser Fries im Hof spiegelt wider, wie der Kanal dort unten ausschaut, das ist natürlich kein schönes neues Ziegelgewölbe, sondern da gibt’s ganz viele Ausbesserungen und dieses Muster, das eigentlich ein sehr regelmäßiges ist, wird unterbrochen durch diese Leerstellen im Fries, was in echt eben Mörtel oder Ablagerungen sind. Es ist teilweise wie eine Tropfsteinhöhle, mit kleinen Kalkgebilden. Die Arbeiter, die da unten rund um die Uhr werken, ermöglichen uns hier an der Oberfläche saubere Luft zu atmen und eine reine Oberfläche zu haben. 

Was bedeuten denn die zwei Figuren mit dem Wischmopp, die wir auch in der Arbeit sehen?

Detail Motiv Figuren ©Martin Bilinovac

Am Beginn des Wettbewerbs stand auch ein Termin im Haus mit den Bewohner:innen und Nachbar:innen auf dem Programm. Wie hast du dieses Treffen erlebt? War das förderlich? War das ein bisschen hinderlich?

Es waren wenige Leute da vom Haus, deswegen war es nicht so repräsentativ, aber es hat schon geholfen, um einen Eindruck zu bekommen, was für Vorstellungen und Wünsche es gibt und wie der Raum bisher genutzt wurde. Ich kann mich erinnern, da war ein Bub dabei, der gesagt hat, er spielt immer Fußball; Dann habe ich mir auch bei der Planung irgendwann gedacht – ich hatte ja alle möglichen Ideen – dass manches vielleicht nicht funktionieren kann, weil wenn man hier auch Fußball spielt, da kann auch mal was kaputt gehen. Andere Eingebungen waren zum Beispiel, dass jemand von einem luftigen Element gesprochen hat, weil da immer der Wind durchgeht. Dieser Gedanke findet sich im Blau wieder, was sich so links und rechts zum Himmelshorizont hinzieht und an den Horizont über den Häusern anschließt, wenn man davorsteht. Das öffnet den Raum, macht ihn weiter und schließt an den Himmel an und so habe ich schon ein paar gute Ideen vom Kennenlerntreffen mitnehmen können. 

Als die Ausschreibung zum Wettbewerb kam und ich mir den Ort gemeinsam mit dem Architekten Jochen Hoog angesehen hab, gab es noch Lockdowns und Corona war schon ein Jahr unter uns und dann habe ich mich auch angesichts des Kanals auch gefragt, wie wird Corona unser Zusammenleben beeinflussen und was wird in 200 Jahren von der Corona-Epidemie im Stadtraum noch sichtbar sein. Dabei habe ich versucht, das Ganze positiv aufzulösen und nicht den bedrückenden Aspekt der Pandemie, und Cholera und Corona in den Vordergrund zu stellen. Ich wollte auch zeigen, dass unsere Gesellschaft fähig ist, mit Pandemien umzugehen und Lösungen zu schaffen, um das soziale Zusammenleben zu ermöglichen und zu verbessern, was auch mit diesem Wohnbau und der Infrastruktur rundherum zu tun hat. Und wenn man in den Durchgang blickt und auf das Kunstwerk, das sich rundherum befindet, dann ist das auch wie ein Blick in die Zukunft, der Zuversicht gibt. 

Die Umsetzung 

Keine wesentlichen. Ich war vier Wochen lang jeden Tag hier, 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends ohne Pause, weil ich drei Wochen das Gerüst hatte. Ich habe es schon ein wenig unterschätzt, wie schwierig es ist auf dieser großen Fassade zu malen. Also das hat wesentlich mehr Zeit gebraucht, als ich ursprünglich gedacht hatte. Es war aufwendig vom Malen her auf der rauen Fassade, dass man da saubere Linien hinbekommt, hab viele Work-arounds mir einfallen lassen auch wieder mit Hilfe von Freunden gemeinsam, Schablonen mit Ultra-Kurz-Distanz-Beamer und anderen Sachen gearbeitet. 

Hat es im Projektverlauf Probleme gegeben?

©Martin Bilinovac
©Martin Bilinovac

Gibt es sonst noch Learnings?

Was ist ein Helligkeitsbezugswert?

Ganz viele, von technischer Natur was Fassadenfarbe betrifft, Helligkeitsbezugswerte zum Beispiel. Frag mal einen Künstler was ein Helligkeitsbezugswert ist.

Diese Fassade hier hat darunter dieses Styroporplastik. Also eine Betonwand, die mit dieser Wärmedämmung, Wärmedämmungsverbundsystem heißt das, verkleidet ist und da kommt dann der Verputz drauf. Das kann sich, wenn du die falsche Farbe applizierst, bei Sonnenstrahlung so erhitzen, dass die Fassade quasi herunterbröckelt. Also bist du in der Farbwahl schon wahnsinnig eingeschränkt, und es sind auch sehr hochwertige Farben.  

Es ging halt auch um ein Kunstprojekt und natürlich auch darum die Haltbarkeit möglichst lange zu gewährleisten.

Wie kommt die Gestaltung an?  

Stimmen von Bewohner:innen 

„Es ist so spielerisch, inspiriert zu einer Bewegung und das finde ich total schön.“ 

„Ich finde es recht schön diese städtische Infrastruktur künstlerisch darzustellen, weil das ja sonst eher nur als Beschwerdefaktor gesehen wird.“ „…extra spannend dieses Unsichtbare nochmal sichtbar zu machen, an einem Ort wo sowieso sehr viel Infrastruktur sehr sichtbar ist.“ 

„Es spricht mich sehr an, weil es wirklich so heiter und frisch ist. Diese Bodenspirale regt zur Bewegung an.“ 

Eine Bewohner:innen erinnert sich an die „Kunst am Bau-Gestaltung“ der Wohnhausanlage in Linz in den 1960er Jahren, die sie als sehr prägend und positiv erlebt hat. Sie hebt die identitätsstiftende Wirkung von Kunst am Bau hervor und meinte: „… weil die Häuser sahen sonst alle gleich aus.“  

Moussa Kone moussakone.com und auf Instagram

Ausstellungstipp: Moussa Kone aktuell in MUSA – Bye Bye Zuversicht bis 17.März 2024

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