Der Mobilitätsfonds Wien hat eine Vielzahl an Mobilitätsmaßnahmen im Sonnwendviertel Ost gefördert. Doch wie kann dieser wertvolle Pool für Viele zugänglich und nachhaltig nutzbar gemacht werden? Dieser Frage sind wir im Rahmen des MobiPool-Workshop im Februar 2022 auf den Grund gegangen: Wir haben wertvolle Erfahrungen und Wissen über das Teilen von Mobilitätsressourcen im Sonnwendviertel ausgetauscht, gemeinsam mit Expert:innen über Haftung und Versicherung, Zutritt und Softwarelösungen diskutiert sowie Inspirationen von erfolgreichen Projekten geteilt.
Zum Abschluss des MobiPool Projektes wird von realitylab ein Leitfaden mit Handlungsempfehlungen für MobilitätsSharing im Sonnwendviertel Ost erstellt, um zukünftige Mobilitätsgemeinschaften dabei zu unterstützen, sich zu organisieren und so eine nachhaltige Mobilität für Viele möglich zu machen. Wir wollen in dieser Blog-Reihe die Inhalte des Leitfadens vorstellen. Wir starten mit Teil 1: Grundbegriffe und Nutzen des Teilens. Viel Spaß beim Lesen!
Bevor wir auf die Nutzen des Teilens eingehen, wollen wir zunächst die Grundbegriffe „Mobilitätsgemeinschaft“ und „Fahrzeug- bzw. Mobilitätspool“ näher betrachten.
Grundbegriffe
Wir beziehen uns in diesem Leitfaden auf die Theorie und Praxis des „Gemeinschaffens“ (abgeleitet vom englischen „Commoning“) – einem internationalen Diskurs. Wir haben in unserem Text „Gemeinschaffen – eine Einführung“ wichtige Grundbegriffe erklärt und können sie hier auf den Bereich Mobilität anwenden.
Mobilitätsgemeinschaft: Wer teilt?
Darunter verstehen wir eine Gemeinschaft, die ihre Mobilität selbst in die Hand nehmen möchte; die sich aktiv Gedanken über ihren Mobilitätsbedarf macht und GEMEINSAM Handlungen setzt. Entscheidend ist weiters, dass sich die Gemeinschaft selbst als solche wahrnimmt und zumindest in ihrem Innenverhältnis solidarisch und selbstorganisiert handelt.
Mobilitätsgemeinschaften machen aus abhängigen Konsumenten selbstverantwortliche Produzent:innen und Gestalter:innen ihrer Mobilität. Insofern stellen Uber und ShareNow keine Beispiele für Mobilitätsgemeinschaften in unserem Sinne dar, sehr wohl aber einige Projekte im Sonnwendviertel von denen in weiterer Folge der MobiPool-Reihe die Rede sein wird. Das vielleicht wichtigste Unterscheidungsmerkmal besteht darin, dass eine Mobilitätsgemeinschaft über weitgehende Nutzungsrechte an Mobilitätsressourcen verfügt, über welche sie ihren Mitgliedern Zugang zu Mobilität ermöglicht. Nutzungsrechte müssen nicht immer in Form von Eigentum erfolgen, auch Leasing oder bestimmte Formen der Miete kommen infrage. Idee: Firmen oder Gemeinschaften könnten vergünstigte „kollektive Jahrestickets“ bei Wiener Linien und ÖBB bekommen, um dem Firmenauto den Garaus zu machen. Das wäre dann auch eine Form von „weitgehendem Nutzungsrecht“.
Mobilitätsgemeinschaften bzw. Ressourcengemeinschaften entwickeln sich in der Praxis oft aus bereits bestehenden Gemeinschaften, wie Baugruppen oder anderen Hausgemeinschaften. Manchmal entwickeln sich auch Unternehmen zu Mobilitätsgemeinschaften. Die Mobilitätsgemeinschaft nimmt dann Gestalt an, wenn sich in einer bereits bestehenden Gemeinschaft, bestimmte Gremien und Verantwortlichkeiten ausbilden: z.B. indem sich eine Arbeitsgruppe bildet. Wichtige Aufgaben einer Arbeitsgruppe besteht darin den Mobilitätsbedarf zu erheben und ein Konzept für den Betrieb eines eigenen (oder geleasten/ gemieteten) Fahrzeugpool zu erstellen. Für die Entwicklung eines Betriebskonzepts findet ihr in den nächsten Postings innerhalb der MobiPool-Reihe wichtige Hinweise.
Fahrzeugpool: Was wird geteilt?
Als Fahrzeugpool bezeichnen wir eine Menge an Mobilitätsressourcen, auf die eine Mobilitätsgemeinschaft weitgehende Nutzungsrechte verfügt. In der Regel besteht der Pool aus einem oder mehreren der folgenden Elemente/ Fahrzeuge:
- Lastenräder / E-Lastenräder
- Fahrräder / E-Bikes
- Falträder
- Kinderräder
- Scooter
- Autos / E-Autos
- Anhänger
Geteilte Mobilität ist sehr gut geeignet, um Innovationen mehreren Menschen rasch zugänglich zu machen, sie also ausprobieren und sich leisten zu können. Wenn man/frau ein Fahrzeug z.B. ein Faltrad in seiner Mobilitätsgemeinschaft über längere Zeit ausprobieren konnte, dann kommt er/sie vielleicht zum Schluss: das passt gut zu meinem Mobilitätsverhalten und ich kaufe mir das selbst. Oder er/sie macht die Erfahrung: Ein Lastenrad ist großartig für den Großeinkauf am Freitag, aber deshalb brauche ich nicht unbedingt ein eigenes Fahrzeug. Ich kann es mir ja in meiner Mobilitätsgemeinschaft ausborgen!
Kontingente und Abos bei anderen Pools
Nicht alle Fahrzeuge müssen im Besitz der Mobilitätsgmeinschaft sein. Oft wird es günstiger auf fremde Ressourcen zurückzugreifen
- Öffentlicher Verkehr: Wohnprojekte oder Unternehmen können z.B. ihren Mitgliedern Jahrestickets zur Verfügung stellen. Wir bei realitylab machen das so und tragen auf diese Weise dazu bei, dass Mitarbeiter:innen einen Anreiz haben auf ein eigenes Auto zu verzichten.
- Idee: Sinnvoll wäre es, wenn es für Mobilitätsgemeinschaften das Jahresticket oder das Klimaticket günstiger gäbe. Dadurch können wir unsere grundlegende Mobilitätsbedürfnisse mit dem öffentlichen Verkehr abdecken und brauchen den eigene Fahrzeugpool nur für ergänzende Fahrten.
- Auch professionelle Carsharing-Anbieter und Autoverleiher bieten oft Firmen- und Gemeinschaftstarife an.
Entscheidend ist, dass durch ein gemeinschaftliches Auftreten mehr Verhandlungsmacht und dadurch bessere (kostengünstigere und nachhaltigere) Angebote für die Gemeinschaft geschaffen werden. Jedenfalls empfiehlt es sich vor der Anschaffung/ Erstellung den Mobilitätspool-Bedarf und vorhandene Ressourcen zu erfassen:
- Wie viele Haushalte, Personen (Erwachsene, Kinder) seid ihr derzeit?
- Wie wird sich die Mobilitätsgemeinschaft in den nächsten Jahren demografisch entwickeln (sind mehr Kinder zu erwarten)?
- Wie deckt ihr eure Mobilität derzeit ab (Womit fahrt ihr in die Arbeit, in den Urlaub, am Wochenende)?
- Was habt ihr bereits an Fahrzeugen aller Art?
- Wie viele haben schon ein Wiener Linien-Ticket oder ein Klimaticket?
Solche Erhebungen sind auch wertvoll, um den Platz für Stellplätze zu erheben. Meist gehen Bauträger hier von gesetzlichen Vorgaben oder Schätzungen aus, die oft nicht dem tatsächlichen Bedarf entsprechen.
Das Gemeinschaffen: Die Praxis des Teilens und ihr Nutzen
Im weiteren Verlauf dieses Leitfadens geht es im Kern um die Praxis geteilter Mobilität, was wir als „Gemeinschaffen“ bzw als Commoning bezeichnen. (siehe auch „Gemeinschaffen – eine Einführung“ ). Als Gemeinschaffen verstehen wir die Praxis/ das Geflecht aus Handlungen, mit der die (Mobilitäts-)Gemeinschaft ihre geteilten (Mobilitäts-)ressourcen nachhaltig entwickelt, pflegt, verwaltet und nutzt.
Bevor wir in die Praxis eintauchen, möchten wir darstellen welche Vorteile sich eröffnen. Wir fassen hier die wichtigsten Nutzen des Teilens im Hinblick auf Mobilitätsressourcen auf einen Blick zusammen:
- Ressourcenersparnis bei der Herstellung eines Fahrzeugs. Ein Fahrzeug, das geteilt wird, muss nur einmal erzeugt werden. Wenn es uns gelingt die Anzahl an Fahrzeugen zu senken, sparen wir eine Menge an Rohstoffen und Energie. Wir sagen Goodbye zur Abhängigkeit von Energiedespoten wie Russland, Iran, Saudi-Arabien,…)
- Ressourcenersparnis im Betrieb (z.B. leichtere Wartbarkeit im Mobilitätspool), weniger Treibstoffverbrauch; Der Reifenwechsel und das „Pickerl“ wird gemeinschaftlich erledigt – das spart Zeit und Geld!
- Platzersparnis im öffentlichen Raum, aber auch weniger Bedarf an Stellplätzen im Wohnbau: Wir werden unsere Städte nicht mehr wiedererkennen – ohne stehenden Verkehr. Mehr Platz für Grün, Begegnung, Erholung und Schanigärten in unseren Straßen.
- Der Wohnbau wird günstiger, weil teure Garagenplätze wegfallen. Ein Garagenplatz kostet mindestens 8000.- Euro in der Errichtung! Das wird mit euren Wohnungen immer mitgezahlt!
- Leistbarkeit von Innovation: Wenn sich mehrere zusammenschließen, wird innovative Technologie (z.B. relativ teure E-Mobilität) leistbarer und für viele zugänglich.
- Kompatibilität mit innovativen Energiekonzepten, z.B. gemeinschaftliche Solarerzeugung speist gemeinschaftliche Mobilität.
- Und schließlich der vielleicht größte Nutzen: Teilen stärkt lokale Gemeinschaft und sozialen Zusammenhalt!
Wir verstehen Teilen als low hanging fruit. Damit meinen wir, dass alle Komponenten des Teilens, bereits vorhanden sind. Dies bezieht sich sowohl auf digitale Technologien als auch auf die rechtliche Grundlage des Teilens von Mobilitätsressourcen. Wir haben festgestellt, dass sich Genossenschaften bestens eignen, um einen Mobilitätspool zu organisieren.
Teilen ist angesagt und entspricht dem aktuellen Mindset. Allerdings bedeutet Sharing nicht unbedingt Gemeinschaffen. Was wir von Uber oder AirBnB bekommen ist kein Gemeinschaffen. Das Teilen von Mobilitätsressourcen ist relativ rasch möglich und hängt mehr vom Bewusstseinswandel als von materiellen Barrieren ab. Zusammengefasst basiert das Teilen (auch das Teilen von Mobilität) auf der Flexibilität des menschlichen Geistes und sozialer Organisation. In der Geschichte der Commons gibt es unzählige „Good Practise“-Beispiele. Das lässt sich anthropologisch dadurch erklären, dass die Fähigkeit zum Teilen sehr wahrscheinlich im Menschen „angelegt“ ist. In diesem Beitrag erfährst du mehr über unser Verständnis von „Commons“ bzw. „Gemeinschaffen“.
Wir hoffen dir hat der erste Teil in unserer MobiPool-Reihe gefallen. Wenn du deine Erfahrungen mit uns Teilen möchtest, kannst du das gerne unter mobipool@realitylab.at oder mittels Kommentar (weiter unten) tun. In Teil 2 dieser Reihe geht es um die verschiedenen Herausforderungen, die sich beim Teilen von Mobilitätsressourcen stellen.
Das Projekt MobiPool wurde aus den Mitteln des Mobilitätsfonds Wien gefördert.